Forschung Neuere Geschichte

Zwischen Observanz und »Welt«

Zwischen Observanz und »Welt«: Praktiken der Selbstpositionierung von Ordensgeistlichen im langen 17. Jahrhundert

Forschungsprojekt der Abteilung Neuere Geschichte
Oktober 2018 bis September 2022
Finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Immer wieder wird in der Forschung die Bedeutung der kirchlichen Orden für die durch den Katholizismus geprägten Gesellschaften der Frühen Neuzeit betont. Dennoch sind ihre innere Organisation und ihre Positionierung in der Gesellschaft mit Ausnahme des Jesuitenordens erst punktuell unter Berücksichtigung neuerer Ansätze der Frühneuzeitforschung untersucht worden. Auf diese Defizite antwortet das Projekt, indem es zwei alte Orden – die Benediktiner und die Zisterzienser – und den neben den Jesuiten wichtigsten, aber bislang weit weniger erforschten Reformorden der Kapuziner in den Blick nimmt. Diese Orden stehen für unterschiedliche Ausprägungen der Kloster- und Ordensorganisation, der Beziehungen zu weltlichen Untertanen und Herrschaftsträgern sowie des Verhältnisses zum Papsttum. Das Projekt baut auf Studien auf, welche den polyzentrischen Charakter der frühneuzeitlichen katholischen Kirche und die Vielfalt der lokalen Christentumsformen herausgearbeitet haben, und fragt nach den Praktiken der Selbstpositionierung der Ordensgeistlichen in ihrem politisch-sozialen Umfeld. Dementsprechend gilt die Aufmerksamkeit erstens der Verfasstheit und institutionellen Verankerung der Kloster- und Ordensorganisation, zweitens den sozialen und politischen Verflechtungen der Ordensgemeinschaften mit den lokalen Gesellschaften, der römischen Kurie und weltlichen Herrschern und drittens den kommunikativen Praktiken, mit denen die Ordensgeistlichen gestützt auf ihre spezifische Lebensweise als religiöse Virtuosen und den daraus resultierenden Nutzen für das Heil der Laien ihr symbolisches Kapital mehrten.

Räumlich bewegt sich das Projekt im Bereich der alten Eidgenossenschaft, zeitlich im Zeitraum zwischen der Gründung der ersten Kapuzinerkonvente in den 1580er Jahren und dem frühen 18. Jahrhundert. Der Untersuchungsraum der alten Eidgenossenschaft wurde gewählt, weil hier aufgrund der konkurrierenden Einflussnahme der wichtigsten katholischen Mächte auf kleinstem Raum das Zusammenwirken verschiedener Regionalkatholizismen beobachtet werden kann. Ordensgeistliche grenzten sich hier einerseits von den in nächster Nähe lebenden Protestanten ab und mussten andererseits im Alltag doch vielfach mit diesen zu einem Auskommen gelangen. Mit dem Blick auf das lange 17. Jahrhundert schließt das Projekt einerseits bei der Konfessionalisierungsforschung und den durch diese ausgelösten Kontroversen, andererseits bei den Debatten um den Stellenwert des Konzils von Trient für den frühneuzeitlichen Katholizismus an. Es fragt danach, inwieweit die spezifischen Rollenmodelle der Orden das Handeln der Ordensangehörigen in der Interaktion mit der Welt der Laien vorstrukturierten. Dabei lautet eine Ausgangshypothese, dass die von der katholischen Reform eingeforderte Regelobservanz zu einer von geistlichen und weltlichen Akteuren variabel einsetzbaren Legitimationsressource wurde, über welche die Rolle der Orden in einem sich verändernden politischen, sozialen und religiösen Umfeld stets von Neuem ausgehandelt wurde.

Subprojekt 1: 
Eigenständigkeit dank Reform und Verflechtung? Die Fürstabtei St. Gallen
(Doktorandin: Giuanna Beeli)

Subprojekt 2: 
Die Zisterzienserklöster von St. Urban und Wettingen im Spannungsfeld von Kurie, Orden und weltlichen Patronen
(Doktorand: Lukas Camenzind)

Subprojekt 3: 
Die Kapuziner der schweizerischen Ordensprovinz zwischen franziskanischer Armut und weltlicher Ökonomie
(Doktorand: Nicolas Rogger)