Rekrutierung und Ausgrenzung: Schweizer Hochschulen im Spannungsfeld zwischen Nützlichkeitsdenken und Überfremdungsdiskurs (Teilprojekt 2)

NN

Die strukturellen Gegebenheiten des Lehrstuhlprinzips an Schweizer Hochschulen erschwerten die Anstellung von emigrierten Professoren; für den akademischen Nachwuchs hingegen, der in der Regel nur befristete Verträge erhielt, war die Integration in die Hochschullandschaft leichter. Die hierarchische Organisation der Hochschulen war jedoch nur ein Faktor von vielen, der bei der Berufung resp. Anstellung von jüdischen oder politischen Emigranten eine Rolle spielte. Es ist bis heute nicht aufgearbeitet, was die ausschlaggebenden Gründe für die Einstellung emigrierter/geflüchteter Akademiker waren.

Eine vergleichende Studie soll anhand der hier dargelegten Forschungsfragen die Berufungspolitik der Schweizer Hochschulen untersuchen. Um den Umgang mit den Emigranten in den Jahren 1933 bis 1945 historisch einordnen zu können, muss der Zeitraum weiter gefasst werden, nämlich ab dem Erstarken des Überfremdungsdiskurses im Zuge des Ersten Weltkrieges bis in die Nachkriegsjahre, in denen vorübergehend aufgenommene Flüchtlinge aufgrund von Ausweisebeschlüssen das Land verlassen mussten. Der Blick wird auf die Überfremdungspolitik, die Ausgrenzung resp. Rekrutierung ausländischer Wissenschaftler und die Wissenschaftsmigration seit dem Ersten Weltkrieg gerichtet. Dabei sollen das Nützlichkeitsdenken politischer Akteure, aber auch das latente Misstrauen innerhalb des Lehrkörpers, antisemitische Tendenzen und Unterschiede zwischen den Fakultäten (dabei sei insbesondere an die als subjektiv geltenden Geisteswissenschaften und die als objektivierend neutral geltenden Naturwissenschaften gedacht) in Betracht gezogen werden. Es gilt dabei auch zu untersuchen, inwiefern die Universitäten und die ETH mit Behörden in Konflikt gerieten (oder gerade nicht), wenn sie Emigranten einstellten. Darüber hinaus muss beachtet werden, dass Schweizer Wissenschaftler trotz gegenteiligen Narratives vielfältige Beziehungen zu Akteuren und Institutionen im nationalsozialistischen Deutschland pflegten.

Die Berufung resp. temporäre Einstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stehen in engem Zusammenhang mit dem Wissenstransfer. Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen und österreichischen Hochschulen wird von der Forschung einhellig als enormer Verlust für die dortigen Forschungslandschaften gewertet. Für die Aufnahmeinstitutionen bedeutet dies im Umkehrschluss einen Gewinn an hochqualifizierten Wissenschaftlern und deren Wissen. Wissen und Praktiken des Wissens sind mit Personen, Institutionen und interinstitutionellen Fachgesellschaften verbunden. Sogenannte wissenschaftliche Tatsachen sind das Resultat von bestimmten Denkstilen und -kollektiven, die im Kontext von politischen und gesellschaftlichen Strukturen analysiert werden müssen. Es muss daher danach gefragt werden, welche Auswirkungen die Ausgrenzung und Emigration von Wissenschaftlern auf die Generierung von Wissen, auf Austauschprozesse und auf Praktiken von Wissen hatten. Für das vorliegende Projekt sind insbesondere die Fragen nach der Zirkulation von Wissen in Zeiten rassischer und politischer Ausgrenzungen und Krieg, nach den Einflüssen auf den Denk- und Forschungsplatz Schweiz, aber auch nach Veränderungen in der transnationalen Wissensgesellschaft von Bedeutung. Die Frage nach der Zirkulation von Wissen impliziert, dass es sich nicht um einen linearen Transfer handeln kann, sondern dass Wissen mannigfachen und multidirektionalen Veränderungen unterworfen ist. Der Wissenschaftsstandort Schweiz ist dabei nur einer im transnationalen Gefüge, und soll daher im Kontext der sich dynamisch verändernden Topographie des Wissens verstanden werden, ohne dass jedoch die spezifischen Besonderheiten des föderalen Bildungssystems verloren gehen.

Das Subprojekt II verfolgt drei Ziele: Erstens soll eine vergleichende Studie der Schweizer Universitäten und der ETH in Bezug auf deren Umgang mit exilierten Wissenschaftlern erarbeitet werden. Zweitens gilt es, die Handlungsspielräume der Hochschulen in der Einstellung von ausländischen Wissenschaftler auszuloten und schliesslich soll drittens der Wissenstransfer aus Deutschland und Österreich an hiesige Universitäten dargestellt werden.