Karriere und Flucht: Transnationale Berufsbiographien geflüchteter Akademiker (Teilprojekt 1)

Dr. Stefanie Mahrer

Theodor W. Adorno schrieb in seiner im amerikanischen Exil verfassten und 1951 erschienen Schrift Minima Moralia: «Jeder Intellektuelle in der Emigration, ohne alle Ausnahme, ist beschädigt und tut gut daran, es selber zu erkennen, wenn er nicht hinter den dicht geschlossenen Türen seiner Selbstachtung grausam darüber belehrt werden will.» (Adorno 1976, 32) Denn auch wenn Migration ein der Geschichte der Menschheit inhärentes Phänomen ist (Lucassen & Lucassen 2004), bedeutet eine Migration aus Zwang durch die fremde Umwelt, die Enteignung der Sprache (Braese 2013), die Isolation und das Mistrauen (Adorno 1976, 41) einen biographischen Bruch. Emigration kann aber gerade auch deswegen, weil sie aus einer Krise heraus geschieht, Innovationen hervorbringen und wissenschaftliche wie auch gesellschaftliche Leistungen nach sich ziehen, die, so Dan Diner (1998, 3), «unter Bedingen von Stetigkeit und Kontinuität der Lebensentwürfe kaum zu erwarten gewesen wären».

Daran anknüpfend soll in Subprojekt I nach den Implikationen der Flucht für das akademische Schaffen der Emigranten gefragt werden. Dies muss jedoch in den weiteren biographischen Kontext eingebettet werden: Was bedeutet eine Emigration/Flucht, die mit dem Verlust der gesellschaftlichen Stellung einherging, für die akademische Karriere? Wie wurde mit dem Identitätsverlust umgegangen, den eine Migration unter negativen Vorzeichen mit sich brachte?

Das Subprojekt I verfolgt drei Ziele: Erstens soll ein Beitrag zur allgemeinen Migrationsgeschichte geleistet werden, indem nach den Implikationen von Flucht und Emigration für akademische Karrieren im Falle der emigrierten/geflüchteten Wissenschaftlern während der NS-Diktatur gefragt wird. Zweitens sollen anhand von Einzelstudien biographische Wege Einzelner nachverfolgt und zur Darstellung gebracht werden. Der Blick geht dabei über die Schweiz hinaus, da zahlreiche Emigranten freiwillig oder gezwungenermassen nur wenige Jahre in der Schweiz zubrachten. Dabei wird auch ein besonderes Augenmerk auf die Bedeutung von transnationalen Netzwerken und internationalen Fachgesellschaften für eine gelungene Flucht und eine spätere Fortführung der wissenschaftlichen Karriere, aber auch auf die positive resp. negative Einstellung von Instituten und Hochschulen den Emigranten gegenüber gelegt. Drittens soll der Wissenstransfer, der durch die Zwangsmigration ausgelöst wurde, genau in den Blick genommen werden. Die Emigranten und Emigrantinnen sind Träger von Wissen und Kompetenzen, die als Kapital auf dem Bewerbungsmarkt eingesetzt werden können.