Aktuelles
Deliberation in Athenian Law Courts
Promotionsprojekt:
Framing Aischines. Politische Gerichtsprozesse und Dynamiken der öffentlichen Kommunikation in der athenischen Demokratie im 4. Jh. v. Chr.
Abschluss: Juli 2023, summa cum laude
Betreuer*innen: Prof. Dr. A.V. Walser (UZH), Prof. Dr. Th. Späth (UniBE)
Inhaltlicher Fokus:
Politische Kommunikation knüpft in jeder Gesellschaft an unterschiedlich gewachsene und etablierte Deutungen, Wahrnehmungen und Wertvorstellungen an und orientiert sich an institutionalisierten sowie informellen Regeln der Interaktion. Die politischen Akteur*innen bewegen sich kontinuierlich in einem Rahmen gesellschaftlicher Erwartungen und müssen ihre Kommunikationsstrategien fortlaufend an die jeweiligen Kommunikationsräume, an institutionelle Voraussetzungen sowie an gegebene Interaktionsmöglichkeiten anpassen. Die Analyse politischer Kommunikation macht somit gesellschaftliche Dynamiken gleich wie gegebene Kommunikationsgewohnheiten sichtbar. Sie erlaubt Rückschlüsse darauf, wie vergangene, gegenwärtige und zukünftige Ereignisse kollektiv gedeutet und verortet werden. Dabei wird deutlich, welches Wissen, welche Werte und Deutungsmuster in einer Gesellschaft in der politischen Kommunikation rhetorisch mobilisiert und als Teile persuasiver Kommunikationsstrategien verwendet werden können.
Für die Gesellschaft der Polis Athen im 4. Jh. v. Chr. bieten überlieferte öffentliche Reden einen wertvollen Zugang zur politischen Kommunikation jener Zeit. Dieses Forschungsprojekt fokussiert auf die Evaluation der politischen Kommunikation in den attischen Volksgerichtshöfen, einer der wichtigsten Institutionen der antiken Demokratie. Durch die Betrachtung der dort gehaltenen Reden werden Erkenntnisse gewonnen zum Gerichtshof als Kommunikationsort der antiken Bürgergemeinschaft, weiter zu Wissensbeständen, Wertvorstellungen, Meinungen, Erinnerungen und Gegenwartswahrnehmungen im attischen Demos und schliesslich zu Formen der strategischen Kommunikation und deren Wirkungen in der antiken Gesellschaft.
Methodisch greift das Projekt ein Framing-Modell aus der Kommunikationswissenschaft auf, das Kommunikation als komplexen Prozess auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen erfasst. Framing wird nicht nur als Technik der Narrativkonstruktion und Inhaltsdarstellung verstanden, sondern auch in Bezug auf Kommunikationskontexte und Rezeptionseffekte analysiert. Um das Framing-Modell für die Altertumswissenschaften fruchtbar zu machen, wird es mit dem Konzept der sozialen Gedächtnisse (nach dem französischen Soziologen Maurice Halbwachs) verbunden. Dies erlaubt eine Frame-Analyse in antiken Kommunikationsprozessen ohne die Experimentalstudien und statistischen Auswertungen, auf denen die kommunikationswissenschaftliche Forschung heute basiert, da so nach erinnerungskulturellen Dynamiken und der Wirkung mobilisierter Erinnerungen im öffentlich-politischen Diskurs gefragt werden kann.
Mit dieser Verbindung kulturwissenschaftlicher und kommunikationswissenschaftlicher Methoden gelingt es, ein produktives neues Tool für die Betrachtung antiker Reden vorzustellen und exemplarisch an den drei überlieferten Gerichtsreden des attischen Staatsmannes Aischines zu testen. So wird der Volksgerichtshof als zentraler Ort der politischen Kommunikation vertieft betrachtet und gezeigt, dass dieser Kommunikationskontext nicht nur zentraler Ort des Austausches innerhalb der athenischen Bürgergemeinschaft war, sondern auch, dass die dortige Interaktion und Kommunikation zwischen Staatsmännern und breiterer Bürgerschaft nach anderen Regeln und Rollenverständnissen funktionierte als in der Volksversammlung oder anderen politischen Institutionen Athens. Aufbauend auf der Frame-Analyse werden in Aischines’ Gerichtsreden kohärente Kommunikationsstrategien sichtbar gemacht und daran die Relevanz einer kontinuierlichen Narrativkonstruktion basierend auf Stilmitteln und Wiederholungen aufgezeigt, um Kernaussagen auch über lange Reden hin zu vermitteln. So werden Aischines’ Gerichtsreden in ihrer Gesamtkonzeption erfasst, in Verbindung zueinander ausgewertet und in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext verortet. Dies ermöglicht neue Einblicke in die Dynamiken der öffentlich-politischen Kommunikation im Athen des 4. Jh. v. Chr.