Antiakademismus und Wissenschaftskritik vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Vom 6. bis 9. September 2022 findet am Historischen Institut der Universität Bern die internationale Tagung «Antiakademismus und Wissenschaftskritik vom Mittelalter bis zur Gegenwart» in Kooperation mit der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte statt.

Die Infragestellung, Kritik und Bedrohung von Wissenschaft, ihrer Institutionen und Akteure hat im Kontext der aktuellen globalen Herausforderungen der Pandemie und der Klimakrise zweifellos zugenommen. In Ostereuropa, aber auch in Ländern von der Türkei bis zu den USA stehen Akademikerinnen und Akademiker unter Beschuss, institutionelle Mechanismen werden kritisiert und wissenschaftliche Fakten in Zweifel gezogen. Die Kritik an Universitäten und gelehrtem Wissen ist freilich nicht neu. Vielmehr ist sie so alt wie die Hochschulen selbst und hat über die Jahrhunderte immer wieder neue Ausformungen erfahren.

Bereits die scholastische Wissenskultur des hohen Mittelalters kannte vehemente Kritiker, später traten die Humanisten gegen die Universitäten auf, bis sich während der Reformationszeit ein vorläufiger Höhepunkt der Institutionenkritik einstellte. Schon in dieser frühen Phase ist zu unterscheiden, dass Kritik einerseits von innen kommen konnte, also eher auf eine Reform als auf eine Aufhebung der Universitäten zielte, oder aber von aussen als radikale Infragestellung dieser Wissensinstitution formuliert wurde. Mit dem Elfenbeinturm entstand im 19. Jahrhundert ein wirkmächtiges Bild der Universitäten, das für die soziale Entfremdung des Akademischen vom Rest der Gesellschaft steht und auf das noch heute gerne Bezug genommen wird, wenn es darum geht, sich von der Institution und ihres Lehrkörpers abzugrenzen.

Im Zentrum der Tagung soll weniger die Selbstkritik des Wissenschaftssystems stehen, sondern die radikale Infragestellung von aussen. Die Grausamkeiten des Nationalsozialismus in Deutschland und des Pol Pot‑Regimes der Roten Khmer in Kambodscha bilden dabei traurige Höhepunkte.

Für die jüngere deutsche Geschichte gelten das Jahr 1968 und die sogenannten 68er als Chiffre einer radikalen Kritik der akademischen Institutionen und Denkstile. Institutionenkritische Ansätze wie die Geschlechterforschung oder die Postcolonial Studies sind jedoch in jüngerer Zeit selbst zur Zielscheibe des Ressentiments gemacht und unter Ideologieverdacht gestellt worden. Die Freiheit der Rede scheint wiederum gerade an den Universitäten in einer Krise zu stecken, aus dem akademischen Freiraum könnte ein «Unsafe Space» werden. Hier setzt die Tagung ein, die sich das Ziel gesetzt hat, nach Formen von Antiakademismus und Wissenschaftskritik in der ‘longue durée’, vom Hochmittelalter bis zur heutigen Zeit, zu fragen und dabei auch deren mediale Repräsentation etwa in der Kunst einzubeziehen.

Programm

Universität Bern, Unitobler, Raum F021; Lerchenweg 36

18.00            

  • Virginia Richter (Bern, Vizerektorin der Universität): Grussworte
  • Martin Kintzinger (Münster, Präsident der GUW): Grussworte
  • Christian Hesse, Marian Füssel (Bern, Göttingen): Begrüssung und Einführung
18.30-19.15  
  • Claus Beisbart (Bern): Was, warum und wie? Wissenschaftskritik aus philosophischer Perspektive
  • Anschliessend Apéro

Universität Bern, Hallerstrasse 6, Seminarraum 205
Sektion 1 Moderation: Wolfgang Eric Wagner (Münster)

09.00-09.45  Marcel Bubert (Münster): Die gestörte Universität. Antiakademismus und die Dynamiken von Wissenschaftskritik in der Scholastik des späten Mittelalters
09.45-10.30   Daniela Rando (Pavia): “Melius esse studia non habere“. Ordensobservanzen und Wissenschaftskritik am Anfang des Quattrocento
10.30-11.00   Kaffeepause
11.00-11.45 Marian Füssel (Göttingen): Aufgeklärter Antiakademismus? Die Kritiker der Universität im 18. Jahrhundert
11.45-12.30 Wolfgang E. J. Weber (Augsburg): Wider die «Diener des Buchstabens». Frömmigkeitspraktisch-charismatische Kritik am Klerusakademismus der Frühen Neuzeit
12.30-14.30   Mittagspause

 

Sektion 2 Moderation: Kurt Mühlberger (Wien)

14.30-15.15 Caspar Hirschi (St. Gallen): Französischer Antiakademismus im Ancien Régime und in der Revolution
16.00-16.30 Kaffeepause
16.30-17.15 Stefanie Coché (Giessen): Antiakademismus und Evangelikale in den USA im 19. und 20. Jahrhundert
17.15-18.00 Christa Klein (Leipzig): Lebensreform und Antiakademismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert

Universität Bern, Hallerstrasse 6, Seminarraum 205
Sektion 3 Moderation: Sabine Happ (Münster)

09.00-09.45 Peter Schneemann (Bern): Die Ästhetiken von Regelwerk und Diskurs. Warum die Kunst den Akademismus braucht
09.45-10.15  Kaffeepause
10.15-11.00  Rüdiger Hachtmann (Berlin): Antiintellektualismus, Wissenschaftsbild und Forschungspolitik unter der NS-Diktatur
11.00-11.45 Folker Reichert (Stuttgart): Walter Frank wider die «Griechlein»
11.45-14.00 Mittagspause
14.00-14.45 Jan-Hendryk de Boer (Duisburg-Essen): Humanistische Universitätskritik. Entwürfe einer alternativen Wissensordnung im spätmittelalterlichen Europa
Ab 15.00  Exkursion: Führung durch die Altstadt von Bern
  Anschliessend gemeinsames Abendessen (mit Anmeldung)

Universität Bern, Hallerstrasse 6, Seminarraum 205
Moderation: Martin Wagendorfer (München/Innsbruck)

09.00-09.45   Anne Kwaschik (Konstanz): Die Evidenz von Erfahrung. Wissenschaftskritik und Wissensermächtigung in sozialen Bewegungen
09.45-10.30  Philipp Felsch (Berlin): Gegen die Uni studieren.
Antiakademismus um 1968
10.30-11.00 Kaffeepause
11.00-11.45  Sylvia Paletschek (Freiburg i. Br.): Kommentar und Diskussion
12.00 Abschluss der Tagung

Verantwortlicher Organisator

Administration