Historisches Institut

Forschung Extraordinariat Eibach

Stadt und Kriminalität in der Sattelzeit: Basel und Zürich (ca. 1750-1850)

Forschungsprojekt, ab dem 1.5.2008 finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds

Verantwortl. Leitung

Das zweipolige Forschungsprojekt untersucht anhand von Vernehmungsprotokollen Justiz und Kriminalität in Basel und Zürich im Zeitraum von ca. 1750 bis 1850. Die Kriminalität im urbanen Raum während der sog. Sattelzeit ist abgesehen von den europäischen Metropolen Paris und London nicht erforscht. Nachdem die Städte Mitteleuropas um 1800 lange Zeit als strukturell verkrustet und Wagenburgen mentaler Traditionsverhaftung galten, haben neuere Fallstudien Städte als Rezeptionsräume der Aufklärung und Kontexte einer neuen, in nuce ständeübergreifenden Bürgerlichkeit skizziert. Das Projekt zielt darauf ab, mit den mittleren Städten Basel und Zürich die Schweiz auf der europäischen Landkarte der Historischen Kriminalitätsforschung besser zu verorten. Die Frage nach der justizrelevanten Kontinuität bzw. Entwicklungsdynamik ist auf den historischen Kontext von Aufklärung und Bürgerlichkeit zu beziehen. Basel und Zürich zeichnen sich durch eine hervorragende Quellenlage aus. Die Recherche in Archiven in Deutschland hat ergeben, dass dort nirgendwo vergleichbar gute Bestände an Gerichtsakten vorhanden sind, die es zulassen würden, das 18. und das 19. Jahrhundert gleichgewichtig in den Blick zu nehmen.

Historische Kriminalitätsforschung hat sich während der letzten Jahre zu einer erfolgreichen Subdisziplin der Geschichtswissenschaft entwickelt. Dabei haben sich epochenspezifisch bevorzugte Arbeitsgebiete wie die Stadt im Spätmittelalter oder die Entstehung des kriminologischen Diskurses im 19. Jahrhundert etabliert. Das Forschungsprojekt zielt inhaltlich wie methodisch auf eine Überwindung der auffälligen Diskrepanzen in der Historischen Kriminalitätsforschung dies- und jenseits der Epochenschwelle um 1800. Darüber hinaus ist ein Beitrag zum besseren allgemeinen Verständnis von Kontinuität und Wandel während der ‚Sattelzeit’ in kulturhistorischer Perspektive zu erwarten.

Das Projekt untersucht zentral die beiden Deliktfelder Gewalt (Körperverletzungen und Verbalinjurien) und Eigentum (Diebstahl und Betrug bzw. betrügerischer Bankrott). Ausschlaggebend für die Wahl dieser Deliktfelder ist die Annahme, dass sich in der Übergangsphase von der Ständegesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft die Vorstellungen von Ehre und Eigentum ändern. Inwiefern schlägt sich dieser Wandel in der Praxis und im Umgang mit Delinquenz nieder? Der kulturhistorische Ansatz des Projekts beinhaltet zweierlei: zum einen den akteursbezogenen Fokus auf lebensweltliche Praktiken und Rechtserfahrungen, die zu delinquentem Handeln führen; zum anderen die Untersuchung der Logik der Justizpraxis. Das Forschungsprojekt versteht das Verfahren vor Gericht als einen Prozess des Aushandelns rechtlicher Massstäbe durch Akteure, die mit unterschiedlich viel Macht ausgestattet sind. Für den Inquisitionsprozess in der Frühen Neuzeit sind überraschende Möglichkeiten der Aneignung des Verfahrens durch die Untertanen aufgezeigt worden. Lässt sich der Wandel der Verfahrenspraxis der Justiz während der Sattelzeit weiterhin klassisch rechtsgeschichtlich als Übergang zu ‚moderner Rechtsstaatlichkeit’ oder als ‚Repression’ in neuem Gewande beschreiben? Ziel ist nicht zuletzt die kritische Prüfung dieser beiden etablierten Vorstellungen von der Justiz.