Die Chancen der Zugewandten Orte (Arbeitstitel)

Sébastien Dupuis

Anders als im Fall der zugewandten Republiken des Wallis und der Drei Bünde wird das Militärunternehmertum historiographisch nur am Rand mit Genf in Verbindung gebracht, das seit dem späten 16. Jahrhundert ein Zugewandter Ort Berns und Zürichs war. Die Vernachlässigung des Genfer Militärunternehmertums durch die Forschung erstaunt angesichts der grossen Zahl von Genfer Offizieren in fremden Diensten. Bedeutende Ratsgeschlechter wie die de Budé, Buisson, Constant de Rebecque, Dunant, Fatio, Gallatin, Grenus, Le Fort, Lullin-Châteauvieux, Mallet, Micheli, du Pan, Pictet, Prevost, Rilliet, Sarasin, Thellusson, Trembley u.a.m. waren militärunternehmerisch aktiv, insbesondere für Frankreich. Das starke militärische Engagement der Genfer Machteliten für den französischen König ist erklärungsbedürftig. Im Unterschied etwa zum Wallis oder zu Graubünden bot die gewerbliche Warenproduktion in Genf grossen Teilen der Bevölkerung ein Auskommen, so dass der mit hohen Risiken behaftete Solddienst für viele Genfer wenig attraktiv sein musste. Ausserdem fehlte der Republik ein bevölkerungsreiches Umland für die Rekrutierung von Soldaten. Wie also erklärt sich die hohe Anzahl von Genfer Offizieren trotz dieser vergleichsweise ungünstigen Rahmenbedingungen?

Das Dissertationsprojekt 4 untersucht, wie in Genf Politik, Finanzplatz und Militärunternehmertum miteinander verflochten waren und welche ökonomischen und machtpolitischen Chancen sich daraus für die Genfer Eliten ergaben. Einschlägig scheint hierfür das Beispiel der Familie Buisson zu sein. Die im 16. Jahrhundert aus Lyon nach Genf eingewanderte Familie galt um 1700 als „le centre de gravitation du Tout-Genève“. Dabei waren vier der sechs Söhne des Syndic Jean Buisson (1613-1666) in Kriegsgeschäfte mit Frankreich verwickelt, wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise. Louis, Louis-Théophile und Amy dienten als Offiziere in Frankreich, wobei letzterer besonders erfolgreich war. Amy trat 1673 in französische Dienste, wurde 1706 zum Brigadier befördert und erwarb 1715 das Berner Linienregiment May. Im Unterschied zu seinen Brüdern war Jacques nicht Offizier, sondern 1703 als Teilhaber des international vernetzten Genfer Unternehmens Saladin & fils & Buisson in grossem Stil in die Kriegsfinanzierung der französischen Armee in Oberitalien involviert und pflegte enge Beziehungen zu wichtigen Kriegsfinanciers in Paris. Es soll erforscht werden, welche Akteure und Familien die militärische Zusammenarbeit mit Frankreich forcierten und welche Interessen sie dabei verfolgten. Ein besonderes Augenmerk ist auf den Status Genfs als Zugewandter Ort sowie auf die Anwesenheit eines ständigen französischen Gesandten seit 1679 in der Stadt zu legen. Welche Vor- und Nachteile brachte es für die Genfer Offiziere mit sich, dass Genf im Unterschied zu anderen Zugewandten Orten nicht in der französisch-eidgenössischen Soldallianz eingeschlossen war (Soldverhandlungen, Transgressionen)? Was sind die Gründe für dieses allianzpolitische Abseitsstehen? Gab es im Umfeld der Bündnisverhandlungen von 1663 und 1715 Bestrebungen, Genf in die Allianz mit Frankreich einzubinden? Wer hat dabei mit welchen Argumenten für oder gegen einen möglichen Beitritt Genfs zur Allianz mit Frankreich agitiert? Wie ist es in diesem Zusammenhang zu deuten, dass ein Genfer Offizier 1715 ein bernisches Linienregiment übernahm, als die konfessionspolitischen Spannungen zwischen Frankreich und den protestantischen Orten der Eidgenossenschaft besonders virulent waren (Erneuerung Soldallianz mit den katholischen Orten, Abschluss des antiprotestantischen Trücklibunds)?