Narrative und geschichtspolitische Instrumentalisierung des schweizerischen Landesstreiks seit den Zwischenkriegsjahren (Arbeitstitel)

Daniel Artho

Mit dem Ende des schweizerischen Landesstreiks am 14. November 1918 begann eine jahrzehntelange, zum Teil sehr kontrovers und emotional geführte Auseinandersetzung um die Deutung dieses Ereignisses und die Einschätzung der Konsequenzen für die politische Kultur des Landes sowie das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die unterschiedlichen Narrative zur Deutung und zum besseren Verständnis der einschneidenden Ereignisse differierten von Anfang an stark. Umstritten war in der Beurteilung des Landesstreiks nicht nur die Frage, ob es sich beim Abbruch des Streiks um eine «Kapitulation» und schwere Niederlage der (organisierten) Arbeiterschaft oder lediglich um eine angemessene – und vernunftgeleitete – Reaktion des Oltener Aktionskomitees (angesichts ungleicher Waffen) handelte. Umstritten war auch die Frage, ob die Konfrontationspolitik des Bürgerblocks eine Folge der Revolutionsdrohung von links war – oder umgekehrt – und ob es sich beim Streik um einen verfassungswidrigen, von der Armee verhinderten Revolutionsversuch (rechtes Deutungsmuster) oder lediglich um eine legitime, von der Armee niedergeschlagene Manifestation der Arbeiterschaft (linkes Deutungsmuster) handelte. Während der in den 1930er Jahren einsetzenden Ära der geistigen Landesverteidigung wurde der Akzent in der Beurteilung des Landesstreiks dann zunehmend auf ein integratives, sozialpartnerschaftliches Modell – den Weg vom Arbeitskampf zum Arbeitsfrieden – gelegt und der Einsatz von Ordnungstruppen im Landesinneren kaum noch thematisiert.

Arbeiten zur Etablierung und zur geschichtspolitischen Nutzung unterschiedlicher Narrative des Landesstreiks fehlen in der historischen Forschung – von einigen Beispielen abgesehen – bis heute aber weitgehend. Teilprojekt 3 fragt deshalb nicht nur nach der Bedeutung linker und rechter Deutungsmuster des Landesstreiks für die politische Polarisierung und Radikalisierung in der Schweiz der 1920er Jahre, sondern interessiert sich darüber hinaus auch für die Etablierung und geschichtspolitische Nutzung unterschiedlicher Narrative des Landesstreiks seit den Zwischenkriegsjahren.