Krieg und Krise

Kultur-, geschlechter- und emotionshistorische Perspektiven auf den schweizerischen Landesstreik vom November 1918

Forschungsprojekt Ordinariat Studer
Oktober 2016 bis September 2019
Finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds

Der militärisch besetzte Paradeplatz am 9. November 1918 in Zürich. Dem schweizerischen Landesstreik ging hier ein lokaler Generalstreik voraus, bei dem ein Soldat erschossen wurde (Stadtarchiv Zürich, V.L.82, Fotografie von W. Gallas)

Obwohl der schweizerische Landesstreik vom 11.–14. November 1918 schon nach wenigen Tagen unter massivem militärischen Druck durch die Streikleitung beendet wurde, gilt er bis heute als eine der schwersten sozialen und innenpolitischen Krisen seit der Gründung des Bundesstaates von 1848. Die Darstellung des Streiks als tiefes Zerwürfnis zwischen der Arbeiterschaft und dem Bürgertum hat die Forschung für Jahrzehnte geprägt und ist bis zur Gegenwart dominant geblieben. Einflussreich war insbesondere die Arbeit von Willi Gautschi von 1968, die nicht zuletzt die seit Kriegsende kursierende These eines von (ausländischen) Bolschewisten gesteuerten Revolutionsversuches widerlegte und in den folgenden Jahren durch verschiedene Regionalstudien vertieft wurde. Obwohl inzwischen zahlreiche neue Archivbestände zugänglich gemacht worden sind, bestehen aber auch 50 Jahre nach der wichtigen Arbeit von Gautschi noch erhebliche Defizite in der historischen Forschung. 2018 jährt sich nicht nur der Ausbruch des schweizerischen Landesstreiks zum hundertsten Mal, sondern auch die für sein Verständnis wichtigen Umbrüche in anderen europäischen Ländern in den Jahren 1917–1919 werden in den nächsten Jahren eine hohe wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten. Für die internationale Vernetzung und den Austausch mit anderen Forschungsprojekten sind dies ideale Voraussetzungen.

Das vorliegende Projekt strebt eine Erweiterung und Vertiefung der historischen Forschung in zwei Richtungen an: erstens durch eine international vergleichende, transnationale Perspektive sowie zweitens eine stärker an Ängsten und anderen Emotionen interessierte kultur- und diskurshistorisch sowie praxeologisch ausgerichtete Streikforschung, welche die Nutzung von Emotionen als politische Strategie ernst nimmt und davon ausgeht, dass der Erste Weltkrieg auch ein Medien- und Propagandakrieg war. Damit ist auch eine Entpragmatisierung dieser sozialen Konfliktgeschichte intendiert.

Umgesetzt werden diese neuen Forschungsperspektiven in drei Teilprojekten, die sich mit den folgenden Themen beschäftigen:

  • mit den Revolutionsängsten der Arbeitgeber(verbände) und dem Antikommunismus in der Schweiz nach 1918 (Teilprojekt 1),
  • mit der Transformation der Geschlechterverhältnisse und den Handlungsspielräumen von Frauen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren (Teilprojekt 2) sowie
  • mit zentralen Narrativen und der geschichtspolitischen Instrumentalisierung des Landesstreikes seit den Zwischenkriegsjahren (Teilprojekt 3).