Forschungsprojekte
Nuklearer Internationalismus im Kalten Krieg. Sowjetische Akteure, Netzwerke und Wissenstransfer
Illustration zum Artikel: V. Mezencev, Lenin videl buduščee, Znanie – sila 1961 (4), S. 1-3, hier: S. 3
Ziel des Dissertationsprojekts ist die Untersuchung von Arbeits- und Lebenswelten sowjetischer Akteure in internationalen Wissenschaftsnetzwerken. Blockübergreifender Informationsaustausch und wissenschaftliche Zusammenarbeit blieben im brisanten Forschungsfeld der Kernenergie über viele politische Zäsuren hinweg möglich. Mit Hilfe von persönlichen Nachlässen und vereinzelt zugänglichen Verwaltungsakten soll die Funktionsweise (innere Beschaffenheit, Ansprüche, Intentionen, Kommunikationswege etc.) und Strahlkraft (Wirkungsmacht, Repräsentation, Würdigung, Erinnerung etc.) des nuklearen Internationalismus mit besonderem Fokus auf sowjetische Akteure untersucht werden. Während für die internationale Abrüstungslobby der Atomwissenschaftler einige ausführliche geschichtswissenschaftliche Studien vorliegen, wurde den vordergründig politikfreien Kontaktzonen rund um die „friedliche Atomenergienutzung“ wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Arbeits- und Lebenswelten von Atomwissenschaftlern waren häufig sehr facettenreich. Je nach Kontext mussten die hier fokussierten Akteure ihr eigenes Handeln flexibel den gegebenen Umständen anpassen, um weder die eigene Position, noch die angestrebte wissenschaftliche Kooperation oder gar den vielzitierten wissenschaftlich-technologischen Fortschritt zu gefährden. Freund- und Feindschaften, politische und moralische Überzeugungen, Vorstellungen eines grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Ethos und die oftmals wettkampfartig ausgetragene Systemkonkurrenz gehörten ebenso zu den Lebenswelten sowjetischer Atomwissenschaftler, wie die politische Lobbyarbeit, der Umgang mit Geheimhaltungsverpflichtungen oder die einprägsamen Erlebnisse während ausgedehnten Konferenz- und Verhandlungsreisen. Die Analyse dieser interkontextuellen Lebenswelten wird Handlungsoptionen und Sinnkonstruktionen einzelner Akteure offenlegen und dadurch Erkenntnisse über die übergeordneten Systeme der atomwissenschaftlichen Netzwerkbildung ermöglichen.