Das niedere Schulwesen in der Schweiz am Ende der Frühen Neuzeit. Edition und Auswertungen der Stapfer-Enquête von 1799

Forschungsprojekt, finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds,
1. Tranche, abgeschlossen: 1.6.2009-30.5.2012
2. Tranche, laufend: 1.6.2012-30.5.2015

Editionsleiter

Co-Leiter

SNF-Mitarbeiter

Das Forschungsprojekt befasst sich mit der sogenannten Stapfer-Enquête von 1799, die mit einem standardisierten Fragebogen eine Momentaufnahme aller in der damaligen Helvetischen Republik vorhandenen Formen von niederer Schule liefert. Von rund 2500 Schulen sind die Antworten vorhanden. Dieses Quellenkorpus enthält Informationen, die erlauben, zusammen mit Schulenquêten aus andern Ländern und zu andern Zeitpunkten, jenseits der in der Forschung bislang geteilten Grossthesen die Entwicklung des modernen Bildungssystems und seiner Elemente in differenzierter Art zu rekonstruieren.

Durch die Standardisierung wird ein exakter Vergleich von konfessionell, politisch, sprachlich, gesellschafts- und wirtschaftsgeschichtlich unterschiedlichen staatlichen Organisationen von Schule und Unterricht möglich. Die enorme Menge an zu verarbeitendem Material hat die Forschung bislang daran gehindert, diesen Schatz vollständig zu heben. Dieser Schritt soll nun mit den vereinten Kräften der Erziehungswissenschaft, der Geschichte und der Volkskunde getan werden.

Die Quelle bietet einerseits einen Blick zurück, sie dokumentiert sozusagen die „fossile“ oder „versteinerte“ Frühneuzeit. Sie erlaubt eine Beschreibung des Zustandes, wie er aus dem Zusammentreffen „Alteuropas“ mit den modernisierenden Impulsen seit der Reformation in Staat und Gesellschaft resultiert, sofern diese tatsächlich wirksam waren. Die Modernisierungstheorien der „Early-Modern“-Historiographie stehen dabei durchaus auf dem Prüfstand. Andererseits werden Tempo und Richtung der Dynamik fassbar, die durch die Säkularisierung der kulturellen Ordnung im 18. Jahrhundert freigesetzt wird und sich lokal und regional unterschiedlich ausprägt. Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu erfassen, bildet den grossen forschungsstrategischen Reiz des Unternehmens, die Quellen erstmals vollständig im Internet zu publizieren und so für die weitere Forschung zugänglich zu machen.

Durch die Verknüpfung mit Daten aus andern Quellen, anderen ähnlich gelagerten Schulumfragen (in Zürich schon vorhanden für 1771/72) wird es auf Grund dieser Arbeit möglich sein, einen Zugang zur Entwicklung und Dynamik, zur Systembildung der schulischen Institutionen in der Neuzeit und Moderne zu gewinnen und die Forschung über die traditionellen Grossthesen hinaus in präzisen Einzelstudien voran zu bringen.

Das vorliegende Forschungsprojekt besteht aus zwei grossen Teilen, die einander bedingen:

  1. Zentrum und Basis des vorliegenden Forschungsprojekts ist die wissenschaftliche Edition der gesamten Stapfer-Umfrage. Diese Edition soll auf dem Netz der Forschung zur Verfügung gestellt werden.
  2. Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Editionsprojektes (Doktoranden) werden gleichzeitig zur Editionsarbeit spezifische Forschungsprojekte in insgesamt neun Dissertationen während sechs Jahren entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte waren bzw. sind folgendermassen festgelegt:
    • Finanzierung des Bildungswesens um 1800 in der Helvetischen Republik (Ingrid Brühwiler)
    • Schreiben lehren um 1800 (Peter Büttner)
    • Über Schule schreiben. Lehrerinnen‐ und Lehrerperspektiven um 1799 in der Helvetischen Republik (Markus Fuchs)
    • Konfessionskultur und Schulwesen (Jens Montandon)
    • Das Sozial- und Berufsprofil der Schweizer Volksschullehrer um 1800 (Marcel Rothen)
    • Die beschulte Nation (Michael Ruloff)
    • Verbreitung und Wandel der Schulmedien im Leseunterricht um 1800 (Nadine Pietzko)
    • Aufklärung vor Ort. Schulreform in der Schweiz durch territoriale und lokale Eliten (Teolinda Wenzin)

Das vorliegende Forschungsprojekt und die erwarteten Resultate sollen ermöglichen, die Entwicklungen der Schulen und der Bildungsinstitution über die traditionellen Modernisierungsthesen hinaus in differenzierterer Weise zu verstehen. Die Quellenedition soll die schweizerische Schulgeschichtsschreibung der Neuzeit in der Erziehungswissenschaft, der Geschichte und der Volkskunde auf einen neuen, gemeinsamen Boden stellen. Mit den Einzelforschungen soll es möglich werden, Systembildung und institutionelle Entwicklungen, wie sie heute auch bildungspolitisch aktuell sind, in der Bedingtheit durch langfristige lokale und übergeordnete Prozesse zu verstehen.

Nähere Informationen

Für mehr Informationen können sie die Website des Forschungsprojektes besuchen